Es ist ein Freitagabend im März, die ersten warmen Frühlingstage kommen langsam aber sicher in die Stadt und trotzdem war ich den ganzen Tag Zuhause und werde es auch heute Abend bleiben. Ich habe heute einfach keine Lust, unterwegs zu sein. Zu viele Menschen, zu viele Gespräche – einfach zu viel soziale Interaktion. An manchen Tagen liebe ich das richtig und gehe darin auf, heute ist nicht so ein Tag. Ich befinde mich einfach gerade in meiner „Selfcare-Era“ und genieße es, einfach mal Zeit mit mir zu verbringen. Am Anfang hat es mich etwas Überwindung gekostet, man hat natürlich immer Angst etwas zu verpassen und ja es erfordert auch etwas Mut, Zeit mit sich selbst zu verbringen. Aber mittlerweile liebe ich es. Ja, ich zelebriere es sogar richtig. Ich lerne immer neue Seiten an mir kennen und beschäftige mich viel damit, was mir eigentlich guttut und wovon ich mehr in meinem Leben will. Wovon ich definitiv mehr in meinem Leben will, sind Orgasmen! Versteht mich nicht falsch, Sex ist schön und macht Spaß, auch ohne Big-O am Ende. Aber wie geil ist es bitte, wenn du ihn bekommst? Wenn du ihn endlich bekommen KANNST? Eins kann ich euch sagen, es ist das beste Feeling ever. Bis ich dahin gekommen bin, hat es allerdings gedauert und sehr viel „Arbeit“ mit dem eigenen Körper erfordert. Arbeit klingt blöd, aber seien wir mal ehrlich: Guter Sex ist Arbeit. Auch Sex mit dir selbst.
Ich war nie wirklich der Typ für Selbstbefriedigung und irgendwie war das in meinem Freundeskreis unter den Girls auch nie Thema. Klar, die Jungs prahlen damit, und man hört ständig, dass sich irgendwer einen runtergeholt hat, vor allem im Teenageralter. Aber wir Mädchen? Stille! Wenn ihr mich fragt, fängt da schon der Fehler an. Warum tauschen wir Frauen uns nicht aus? Warum sprechen wir nicht darüber, wie wir uns mit unserem Körper verbinden können und wie wir herausfinden, was uns gefällt? Jetzt, wo ich entdeckt habe, wie schön es ist, sich selbst Lust zu bereiten, wünsche ich mir, dass es jede Frau weiß! Es fängt schon damit an, dass ich früher Probleme hatte, mich selbst anzufassen. Klar, man duscht sich, man cremt sich ein, man kommt zwangsläufig mit seinem eigenen Körper in Berührung. Aber die Brüste, meine Vulva oder mein Po? Rückblickend habe ich das Gefühl, dass diese Bereiche meines Körpers zwar da waren, aber ich sie einfach nicht wahrgenommen habe. Wenn ich doch mal mit meinen Händen darüber gestreichelt habe und es sich gut angefühlt hat, habe ich mich sofort komisch und sogar schuldig gefühlt. Sowas macht man doch als Frau nicht. Aber wisst ihr, was das Komischste ist? Sex mit Männern fand ich immer gut. Dabei habe ich mich nie geschämt. Es ist nicht so, als hätte ich wahnsinnig viel Erfahrung damit – ich war in zwei langjährigen Beziehungen und bringe es vllt. auf 5 weitere Sexualpartner in meiner Singlezeit – aber ich hatte immer dieses „das ist vollkommen okay, das gehört so“ Gefühl. Der Sex ist gut, er muss gut sein, denn meine Partner sind immer gekommen. So dachte ich zu dieser Zeit. Wenn sie kommen, muss es gut sein! An mich habe ich dabei nie gedacht.
Das alles hat sich nach meiner letzten Beziehung grundlegend geändert. Ich war 3 Jahre mit Cris zusammen, aber am Ende haben wir uns beide einfach in gegensätzliche Richtungen entwickelt. Nach Cris hatte ich eine Zeit lang erstmal gar kein Sex. Ich hatte immer noch mit der Verarbeitung der Trennung zu tun und der Typ für schnelle One-Night-Stands bin ich nun wirklich nicht. Nach einiger Zeit habe ich aber gespürt, dass ich wohl doch kein so lustloses Wesen bin und da es schon eine Zeit her war, habe ich immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, mich doch mal selbst zu befriedigen. Die Hemmungen waren aber immer noch zu groß. Also habe ich das Thema immer wieder zur Seite geschoben. An einem Nachmittag im Oktober letzten Jahres war ich in einem Buchladen unterwegs, auf der Suche nach einem Buch für den bevorstehenden Urlaub. Ich wollte das erste Mal alleine in den Urlaub fliegen und dafür brauchte ich natürlich Strandlektüre. Die habe ich dann auch ziemlich schnell gefunden, aber nicht die, die ich erwartet hatte. Als ich so durch die Bücherregale ging, stich mich am Ende des Ganges sofort ein Buch ins Auge. Rosa Einbund mit einer Grapefruit auf dem Cover. Titel: Coming Soon. In dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie gekommen! Warum nicht? Warum verdammt nochmal habe ich das noch nie erlebt? Und warum verdammt nochmal habe ich das nie hinterfragt?
Was soll ich euch sagen, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als mir dieses Buch sozusagen vor die Füße gefallen ist. Es hat mein Leben verändert und das meine ich absolut genauso wie ich es sage. Dass ich eigentlich wegen meiner Urlaubslektüre im Buchladen war, habe ich ziemlich schnell vergessen, war aber auch egal, ich brauchte eh nur dieses eine Buch, das würde mir den Urlaub versüßen, da war ich mir sicher. Am nächsten Tag bin ich geflogen und hab das Buch schon auf dem Flug halb verschlungen. Was für eine Offenbarung. Im Urlaub hab ich dann ziemlich viel Zeit mit mir und meinem Körper verbracht. Im Bett, in meinem privaten Whirlpool, in der Dusche, eigentlich überall, wo ich mich unbeobachtet gefühlt habe. Einmal sogar unter dem Wasserfall der Poollandschaft … warum habe ich mich nochmal dafür geschämt, mich selbst zu berühren? Ich hatte ja keine Ahnung, was mein Körper alles drauf hat und welche Gefühle er mir verschaffen kann, wenn ich ihn nur lasse. Klar, das klingt jetzt hier alles so easy, aber es erfordert natürlich auch viel Zeit, sich erstmal mit dem eigenen Körper zu verbinden und dann herauszufinden, was einem gefällt. Aber Girls, diese Zeit ist es absolut wert und ihr bekommt es hundert – ach was sag’ ich – tausendfach zurück.
Das Beste dabei? Nicht nur bei der Selbstbefriedigung erreicht ihr ganz andere Level (oder fangt überhaupt erstmal damit an), wenn ihr euch einmal wirklich mit euch und euren Bedürfnissen beschäftigt habt, nein, auch beim Sex mit einem Partner oder einer Partnerin. Ihr wisst plötzlich, was ihr geil findet, wo ihr angefasst werden wollt, wie ihr angefasst werden wollt und das ist ein echter Game Changer. Wirklich, ich bin immer noch baff, was alles möglich ist, wenn man sich von Scham befreit, sich selbst wertschätzt und sich gerne Lust verschafft. Es gibt nichts, aber auch wirklich gar nichts, was daran unangebracht ist oder wofür man sich schämen sollte. Lasst euch das von jemanden gesagt sein, der fast 30 Jahre damit verbracht hat zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Ich hab den besten Sex meines Lebens. Mit mir und mit anderen. Ich bin offener, ich liebe meinen Körper und vor allem: Ich liebe mich selbst. Und weil ich mich so sehr liebe, mache ich mir jetzt einen gemütlichen Freitagabend, leg mich auf mein Bett, schmeiß meine Lieblings R’n’B Musik aus den 90’s an und teste meinen neuen vibrierenden Freund. Ganz ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, was ich heute Abend verpassen könnte. Ich verpasse gar nichts, ich verbringe Zeit mit mir und werde den ein oder anderen Orgasmus haben, das ist sicher. Das nenn ich Next-Level Selfcare!